„Durch und durch warst du eine Böllianerin“

Nachruf

Ein persönlicher Nachruf auf Antonie Nord.

Antonie Nord steht vor bergiger Landschaft mit grünen Hängen und rotbraunen Felsen, sie trägt ein helles Oberteil und schaut lächelnd leicht zur Seite.
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Antonie Nord.

Danke liebe Antonie,

zu früh bist du gegangen. So gerne wolltest du bleiben - für deine Kinder, deine Familie, deine Freundinnen und Freunde.

Für deine geliebte Stiftung. Du hast für sie so viel gegeben, sie geprägt, sie geliebt und viele Krisen mit ihr bestanden. Durch und durch warst du eine Böllianerin.

Deine Reise mit der Stiftung hat vor 23 Jahren begonnen. Frisch promoviert, noch nicht ganz entschieden, ob du dich der (Afrika-)Wissenschaft und Demokratietheorie widmen willst, bist du ins kalte Wasser gesprungen und hast dich für die Leitung des Afrikareferats beworben. Es war die erste Stelle, die ich zu vergeben hatte. Die Bewerbungen kamen damals noch im Waschkorb. Du wurdest mir von meinem Mann Gero empfohlen – eine Verbindung, die bis zu seinem Tod bestand.

Du warst Berufsanfängerin ohne Personal- und Leitungserfahrung. Wir waren beide mutig und du hast dich mit Haut und Haaren, mit Herz und Verstand in die Welt der Heinrich-Böll-Stiftung hineingefunden. Von Anfang an haben sich all deine wunderbaren Talente und Gaben gezeigt: analytisch und empathisch, strukturiert und zugleich immer ansprechbar für Mitarbeitende und Partner*innen. Du bist eine der besten politischen Managerinnen geworden, die ich kenne. Ein Glücksfall für die Stiftung und all ihre Mitarbeiter*innen.

Du hast sehr schnell dein politisches Zuhause bei der Stiftung gefunden. Und du bist geblieben, auch wenn dich andere abwerben wollten. Weil du so gut verstanden hast, was eine politische Stiftung – einzigartig in der Welt – politisch bewegen und bewirken kann: für Demokratie- und Menschenrechte, für die Selbstbestimmung von Minderheiten, von Frauen und LGBTIQ-Personen, für den ökologischen Erhalt des Planeten. Das Recht, Rechte zu haben, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, eine Welt ohne Diskriminierung und Kriminalisierung – das waren deine großen politischen Anliegen. Die Stiftung selbst als Vorbild für die Achtung der Menschenwürde, für Solidarität und für demokratische Beteiligung – das hast du mit deinen Teams gelebt.

Du hast dich auch für politische und Menschenrechtsthemen engagiert, die nicht im Mainstream lagen, das zeichnete dich aus. So habe ich durch dich in Südafrika die ersten LGBTIQ-Partner*innen kennengelernt, die inmitten eines diskriminierungsfeindlichen Umfeldes für ihre Rechte eintraten und Solidarität und auch finanzielle Unterstützung brauchen konnten. Du hast dort die erste große Konferenz für LGBTIQ-Rechte der Stiftung organisiert.

Die Nullerjahre waren Aufbruchsjahre für die Stiftung. Dank der kontinuierlich guten Wahlergebnisse der Bündnisgrünen wuchs die Stiftung. Neue Büros wurden eröffnet, auch auf dem afrikanischen Kontinent neue Themenschwerpunkte entwickelt. Und du, liebe Antonie, warst mittendrin: mit Tatendrang, mit glänzenden Ideen, als strahlende Persönlichkeit, die überzeugte, die Menschen mitnahm und begeisterte.

Von Anfang an verband uns eine der schönsten und produktivsten Arbeitsbeziehungen – und eine echte Freundschaft. Offen und ehrlich. Wir haben viel miteinander gelacht, uns über unsere Familien, über Filme und gutes Essen ausgetauscht. Und eigentlich immer über die Stiftung gesprochen. Mit unbändiger Freude haben wir neue Themen und Ideen ausgeheckt, uns gegenseitig inspiriert. Mit Leidenschaft haben wir die geschlechterpolitische und feministische Arbeit vorangetrieben, in den Büros und der Zentrale – hier warst du mir eine Verbündete der ersten Stunde, durch und durch Feministin. Und besonders verbunden hat uns immer auch die Auswahl von Büroleitungen in aller Welt. Sie repräsentieren die Werte und politischen Anliegen der Stiftung. Es war soo schön, wie nah wir uns hier waren, für diese so umfängliche und bedeutende Aufgabe die Besten zu finden.

Die Idee, von Johannesburg nach Kapstadt umzuziehen, war eine Idee von dir. Sie hat mich überzeugt, in der Hoffnung, gemeinsam mit unseren Partner*innen vor Ort, auch im südafrikanischen Parlament, Einfluss auf die Post-Apartheid-Agenda nehmen zu können. Einmischen, relevant sein –  gesellschaftlich und politisch. Das war unser gemeinsamer Ehrgeiz. Und du warst die Richtige zur richtigen Zeit. In Kapstadt – mit deiner wachsenden Familie – hast du mit einem neuen Team das Büro aufgebaut. Du hast Stiftungsarbeit so umgesetzt, wie du sie verstanden hast: wirksam und verantwortungsvoll. Das ist dir großartig gelungen.

Wir wollten zeigen, dass eine kohlebasierte Energiepolitik keine Zukunft hat – und wie das enorme Potenzial erneuerbarer Energien in Südafrika genutzt werden könnte. Du hast das ganze Arsenal der Stiftungsarbeit für soziale, ökologische und emanzipatorische Erneuerung ausgepackt. Das hat dir große Freude bereitet.

Besonders beeindruckt hat mich, wie du neue Formate gesucht und gefunden hast. Die Publikation „Boiling Point“ war eine der ersten, die Betroffenen des Klimawandels in Südafrika – Fischer, Kleinbäuer*innen, Frauen – eine Stimme und Gesicht gab.

Überhaupt: die Partner*innen. Nur mit ihnen gemeinsam lässt sich Veränderung vor Ort gestalten. Sie sind der Kern, das Rückgrat, die Legitimation für eine Stiftung wie die unsere, die aus dem Ausland agiert. Die Vielfalt der Perspektiven im jeweiligen Land – aber auch in Deutschland – sichtbar zu machen, war dir ein Anliegen. So entstand deine Idee für das Format „Perspectives“. Ausschließlich lokale Stimmen sollten zu Wort kommen – politische Akteur*innen, Wissenschaftler*innen. Es wurde zu einem Markenzeichen der Stiftung, das dann alle Regionen mit der Zeit übernommen haben.

Überhaupt warst du eine hervorragende Brückenbauerin – du wusstest sehr genau, dass wir die Wissenschaft brauchen, um unser Wissen zu vertiefen und die Welt besser zu begreifen. Du hattest beste Kontakte in die Grüne Fraktion und Partei, weil sie als politische Verbündete gebraucht werden, wenn unsere Analysen vor Ort, wenn die Partner*innen aus den Regionen in Parlament und Ministerien Gehör finden sollen und Entscheidungen vorbereitet werden. Du warst eine sehr geschätzte Gesprächspartnerin in Fraktion und Partei.

Deine Fähigkeit Vertrauen aufzubauen, deine Sensibilität, dein Fingerspitzengefühl dafür, dass wir Gäste sind, das hat mich tief beeindruckt. Wechselseitiges Zuhören, Ernstnehmen, Verstehen, du hast das gelebt. Du hast andere Perspektiven nicht nur respektiert, sondern ernsthaft erfasst. Und du hast dabei nie deine eigene Haltung verloren. Sie war klar, analytisch, durchdacht. Du warst ein feiner Mensch. Souverän. Prinzipientreu und offen. Eine hervorragende Vermittlerin und versierte Diplomatin.

Spaltung lag dir fern. Kompromiss konntest du – und wo es keinen geben durfte, warst du klar. Spätestens mit deinem Wechsel in das Nahostreferat, mit seinen gemischten Zuständigkeiten im Vorstand für Israel und Palästina, wurdest du zur Vermittlerin, in einer klassischen Sandwichposition. Du hast sie meisterinnenhaft bewältigt. Und wir waren oft genug eine Zumutung.

In kluger Voraussicht haben wir um 2015 herum ein Positionspapier zur Nahostpolitik der Stiftung erarbeitet. Du hast unsere Haltung zur Antisemitismus-Definition entscheidend mitgeprägt. Wir haben uns für die Referenz zur Jerusalem-Erklärung entschieden – klarer, eindeutiger und ohne die Gefahr, jede Kritik an der israelischen Regierung als Antisemitismus zu brandmarken. Deine Weitsicht, dein Wertekompass, dein Verständnis für das Völkerrecht und deine Überzeugung, dass Menschenrechte „wirklich“ nicht teilbar sind – sie waren immer präsent und richtungsweisend für kluges politisches Handeln.

Dein Wechsel in die Leitung des Nahost-Nordafrikareferats war eine ganz neue Herausforderung. Wie Stiftungsarbeit geht, das wusstest du bestens, aber sich in die so vielfältigen Kontexte einer neuen Region einarbeiten – von Marokko bis Irak? Du hast die politischen Facetten der Region sehr schnell erfasst. Die vielen Höhen und Tiefen des Arabischen Frühlings haben wir gemeinsam erfahren und wir wollten unbedingt die demokratischen Kräfte in Marokko, Tunesien und Ägypten stärken. In Rabat und Tunis sind die Büros mit viel Hoffnung aufgebaut worden. Ich erinnere mich gut an unsere gemeinsame Reise nach Tunesien und Ägypten. Es fühlte sich an wie: Stiftungsarbeit at its best. Dafür gibt es die politischen Stiftungen: um zivilgesellschaftliche und demokratische Räume zu schaffen, zu stärken, auszubauen. Wir waren voller Elan, wenn auch realistisch. Mit Aktivist*innen des Damaszener Frühlings standen wir vom Libanonbüro aus bereits seit längerem im Austausch. Voller Enthusiasmus wollten wir den Aufbruch in der Region begleiten. Und hofften gemeinsam, dass sich dieser Aufbruch auch positiv auf den Konflikt zwischen Israel und Palästina auswirkt.

Die Ernüchterung kam schnell. Unsere letzten Partner*innen in Ägypten mussten ins Exil. Und wieder warst du es, die daran arbeitete, wie wir auch in der Diaspora, im Exil diejenigen unterstützen können, die für ihre Gesellschaften weiterhin die demokratische Hoffnung in Ägypten, im Iran – überall – nicht aufgeben.   

Der Krieg in Syrien war besonders entsetzlich. Vom Libanon und von Berlin aus überlegten wir, was möglich ist. Als der ECCHR anfragte, ob wir dazu beitragen könnten, die Menschenrechts- und Kriegsverbrechen des Assad-Regimes zu dokumentieren, war ich sofort bereit. Und du, liebe Antonie – du hast blitzschnell eine Lösung gefunden. Trotz aller zuwendungsrechtlichen Hürden hast du mitgeholfen, die Vorbereitung der Gerichtsprozesse in Koblenz mitzufinanzieren. Das warst du: eine Möglichmacherin. Ein Glanzstück dessen, was eine Stiftung leisten kann, wenn sie unerschrocken für Menschenrechte einsteht.

Als du – es war dein Herzenswunsch – Abteilungsleiterin der Internationalen Zusammenarbeit wurdest, war die Welt schon eine andere. Die Räume für unsere Arbeit wurden enger. In fast allen Ländern waren Grundrechte unter Druck. Zivilgesellschaftliche Akteur*innen, Feministinnen, Anwält*innen, Journalist*innen wurden eingeschüchtert, verboten, kriminalisiert, mundtot gemacht, mussten fliehen. Autoritäre Kräfte wurden stärker. Auch unser neugegründetes Büro in Myanmar musste schon wieder ausweichen und von Thailand aus versuchen, unsere Partner*innen zu unterstützen. Es war eine sehr schmerzhafte politische Entwicklung.

Krisenmanagement auf allen Kontinenten – das wurde dein Alltag. Wir mussten Büros schließen, Mitarbeitende und Partner*innen vor den Bomben Assads, Russlands, Israels schützen oder sogar evakuieren, Spielräume wie in Peking schrumpften auf ein Minimum.

Und trotzdem warst du da. Für die Menschen. Für Lösungen. Für ihre Sicherheit. Für neue Ideen. Du warst unermüdlich – freundlich, geduldig, stark. Und trotz allem: sooo optimistisch.

Du hast gekämpft – um Deine Gesundheit, um dein Leben. Du wolltest leben, deine Kinder beim Erwachsenwerden begleiten. Das Leben genießen. Und für deine so geliebte Stiftung da sein. Gerade in diesen herausfordernden und polarisierenden Zeiten.

Optimistisch und voller Hoffnung warst du, diesen Krebs zu besiegen, der dich doch so lange begleitet hat. Du hast für die Heinrich-Böll-Stiftung das Beste gegeben. Für unsere so wunderbare Zusammenarbeit bin ich dir unendlich dankbar.

Meine Freundin und meine Weggefährtin. Ich vermisse dich so sehr und werde deine Schönheit in allem für immer weiterlieben.

Barbara

 

Berlin, den 28. Mai 2025

Barbara Unmüßig war von 2002 bis 2022 Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung.

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